Kurz & bündig
- Schmerzen beeinträchtigen das Wohl der Nutztiere. Sie führen ausserdem zu einem Einbruch in der Futteraufnahme, Tageszunahme oder Milchleistung.
- Glücklicherweise hat die Verabreichung von Schmerzmitteln in den letzten Jahren zugenommen, beobachtet RGS-Tierärztin Ramona Deiss.
- LandwirtInnen können Schmerzmittel selbst verabreichen – in Absprache mit dem Tierarzt.

Die meisten Kälber in der Schweiz werden enthornt, indem ihnen die Hornanlage ausgebrannt wird. Der Nerv hinter der Hornknospe leitet diese Zerstörung des Gewebes sofort an das Hirn weiter, woraufhin das Kalb starke Schmerzen empfindet.

Seit 2005 ist es daher obligatorisch, dass diese Leitung unterbrochen wird, indem dem Kalb ein Lokalanästhetikum gespritzt wird. Die Stelle rund um die Hornknospe wird anschliessend für eine Weile schmerzunempfindlich.

Sobald die Wirkung dieser örtlichen Schmerzbetäubung nachlässt, wird der Schmerz aber zurückkommen. Eine ähnliche Erfahrung machte jeder, der bereits seine Weisheitszähne ziehen lassen musste. Es empfiehlt sich daher, nach dem Enthornen ein entzündungs- und schmerzhemmendes Mittel zu verabreichen (siehe Kasten weiter unten).

Einsatz von Schmerzmitteln bei Nutztieren nimmt zu

«Das wird von den allermeisten Tierärztinnen und Landwirten auch angewendet», sagt Ramona Deiss, Tierärztin bei der Organisation Rindergesundheit Schweiz. Sie beobachtet, dass sich das Bewusstsein für die Schmerzen von Nutztieren in den letzten Jahren stark verbessert hat. Die Abgabe von Schmerzmitteln habe zugenommen, sagt Deiss und nennt mehrere mögliche Gründe dafür:

  • Mit dem Bewusstsein für die Schmerzen der Tiere komme auch das Bedürfnis, die Schmerzen zu lindern – aus ethisch-moralischen Gründen.
  • Die Zulassung von Schmerzmitteln wie Dolovet und Rifen habe die Hürde heruntergesetzt, weil sie nur kurze Absetzfristen haben.
  • Es würden wohl auch vermehrt Schmerzmittel eingesetzt werden, um den Antibiotika-Einsatz zu senken: «Bei einer leichteren Mastitis kann es ausreichen, der Kuh Dolovet zu verabreichen und anschliessend das Euter gut auszumelken», sagt Deiss.

Den letzten Punkt relativiert Deiss jedoch sofort: «Das geht nur, wenn die Kuh in einem guten Allgemeinzustand ist. Wenn sie auch Fieber hat, reicht ein Schmerzmittel nicht. Dann braucht die Kuh weitere Hilfe, wahrscheinlich auch Antibiotika.»

Es braucht ein Gespür für die Grenzen der Schmerzmittel

LandwirtInnen können im Rahmen der Tierarzneimittel-Vereinbarung TAM-V Schmerzmittel beim Tierarzt beziehen, lagern und auch einsetzen. In der TAM-V bereits vorgesehen und auch grundsätzlich wichtig sei die enge Zusammenarbeit zwischen Landwirt und Tierärztin, so Deiss.

Als TierhalterIn müsse man ausserdem ein Gespür für Grenzen entwickeln: «Bei Lahmheit zuerst eine Woche lang Schmerzmittel verabreichen und dann erst den Tierarzt rufen, ist gar keine gute Idee.» Wenn dann endlich die Ursache behandelt wurde, könne der Tierarzt nämlich dieses Schmerzmittel nicht mehr verabreichen, da sonst die Nebenwirkungen stark zunehmen können.


Was kann und muss ich als Landwirt gegen Schmerzen machen?

Eingriffe am Tier, die Schmerzen verursachen, dürfen nur durchgeführt werden, wenn vorher die Schmerzausschaltung durch eine fachkundige Person erfolgte. So steht es im Schweizer Tierschutzgesetz.

Am Beispiel des Enthornens heisst das, dass ein Lokalanästhetikum an den Nerv gespritzt wird, der von der Hornanlage zum Hirn führt. Ausserdem ist es sinnvoll, ein Schmerzmittel zu verabreichen, das über den Eingriff hinaus die Schmerzen nehmen wird.

Eine «fachkundige Person» kann sein:

  • Die Tierhalterin mit entsprechendem Sachkundenachweis darf eine Enthornung in den ersten drei Lebenswochen der Kälber selbst durchführen.
  • In allen anderen Fällen: Tierarzt.

Der Einsatz von Schmerzmittel kostet natürlich Geld. Dennoch: Den Schmerz zu erkennen und gemeinsam mit dem Tierarzt zu behandeln, kann ein grosses Plus sein. Damit können in einigen Fällen Tiere abgefangen werden, bevor aufgrund der Schmerzen der grosse Einbruch in der Futteraufnahme oder Milchleistung kommt.


Wie erkenne ich Schmerz bei Kühen?

Kühe wirken meist ruhig, gelassen. Haben sie Schmerzen, zeigen sie dies nur verhalten. Das hat einen evolutiven Grund: Als Fluchttier ist es in der Natur von Vorteil, wenn Feinde, die einen jagen und fressen wollen, nicht merken, dass man geschwächt ist.

Offensichtliche Anzeichen für Schmerz bei der Kuh sind:

  • Lahmheit
  • Aufgekrümmter Rücken
  • Starkes Mahlen mit den Zähnen, Zähneknirschen

Bei diesen Zeichen muss schon von einem starken Schmerz ausgegangen werden – so stark, dass die Kuh ihn nicht mehr verbergen kann. Wie ForscherInnen herausgefunden haben, gibt es auch subtilere Anzeichen (1):

  • Hängende Ohren oder Ohren, die angespannt nach hinten gestellt sind
  • Gesenkter Kopf
  • «angestrengter» Gesichtsausdruck, Furchen über den Augen und Fältchen über den Nasenlöchern (siehe Illustration links, verglichen mit einer schmerzfreien Kuh, rechts)
  • Nicht aktiv und nicht aufmerksam, sobald man sich der Kuh nähert

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Wie komme ich an Schmerzmittel?

Es braucht eine Tierarzneimittel-Vereinbarung TAM-V zwischen Tierarzt und Landwirtin. Darin sind regelmässige Betriebsbesuche durch den Bestandestierarzt sowie der korrekte Umgang mit Tierarzneimitteln geregelt. Der Tierarzt darf maximal für einen Bedarf von drei Monaten Schmerzmittel abgeben. Die Abgabe, Verwendung und der Vorrat dieser Mittel müssen im Behandlungsjournal dokumentiert werden.


Welche Situationen sind schmerzhaft?

Um die Anzeichen von Schmerz zu erkennen, braucht es allenfalls mehr Beobachtungszeit. [IMG 4]

Grundsätzlich kann sich die Landwirtin auch überlegen, welche Situationen für Kälber und Kühe schmerzhaft sind (das gilt natürlich auch für Schweine, Geflügel und andere Tiere): 

  • Enthornen
  • Kastrieren
  • (Schwer-)Geburt
  • Lahmheit – an sich ein Zeichen für Schmerz

Mögliche Nebenwirkungen

Fast alle Schmerzmittel haben bei Rindern die Nebenwirkung, dass sie zu Labmagengeschwüren führen können. «Es ist also wichtig, die Schmerzmittel richtig zu dosieren. Mehr ist in diesem Fall nicht mehr», warnt RGS-Tierärztin Ramona Deiss.

Labmagengeschwüre können auch durch Stress entstehen – und Schmerzen sind Stress für das Tier. Es ist also immer ein Abwägen: Wie gross sind die Schmerzen? Wie viel Schmerzmittel braucht es?

Sobald die Gefahr besteht, dass Tiere austrocknen – also beispielsweise, wenn Kälber starken Durchfall haben – ist die Gefahr eines Labmagengeschwürs noch grösser. «In diesem Fall ausschliesslich ein Metacam zu verabreichen, empfehle ich gar nicht. Das kann zu Geschwür und zusätzlich zu Nierenschäden führen.»


Verschiedene Schmerzmittel

Lokalanästhetika, die örtlich das Gewebe schmerzunempfindlich machen. Ein Beispiel:

  • Lidocain

Injektionslösung für Rinder, Schweine, Pferde, Hunde und Katzen.

Wirkung: lokale Betäubung des Gewebes, Schmerzunempfindlichkeit

Absetzfristen: 1 Tag bei Fleisch, keine bei Milch

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NSAID,englisch = non-steroidal anti-inflammatory drugs, deutsch = nicht-steroidale entzündungshemmende Schmerzmittel. Sie wirken nicht nur lokal, sondern systemisch im ganzen Körper, indem sie die Entstehung von Botenstoffen der Entzündung vermindern und somit auch den Schmerz lindern. Drei Beispiele:

  • Dolovet

Pulver für Rinder und Schweine.

Wirkung: entzündungshemmend, fiebersenkend und schmerzlindernd

Absetzfristen Rinder: 1 Tag bei Fleisch, keine bei Milch

Wirkstoff: Ketoprofen

  • Rifen

Injektionslösung für Rinder, Pferde und Schweine.

Wirkung: entzündungshemmend, fiebersenkend und schmerzlindernd

Absetzfristen Rinder: 1 Tag (intravenös) oder 2 Tage (intramuskulär) bei Fleisch, keine bei Milch

Wirkstoff: Ketoprofen (wie bei Dolovet)

  • Metacam

Injektionslösung für Rinder, Pferde und Schweine.

Wirkung: entzündungshemmend, fiebersenkend und schmerzlindernd

Absetzfristen Rinder: 15 Tage bei Fleisch, 5 Tage bei Milch

 

Steroidale Schmerzmittel haben grundsätzlich dieselben Wirkungen wie NSAID. Sie sind im Detail jedoch komplizierter, da sie als Hormone im Körper vorkommen und im Stoffwechsel Funktionen übernehmen. Sie gehören daher in die Hände von TierärztInnen. Ein Beispiel:

  • Dexadreson

Injektionslösung für Rinder, Ziegen, Schweine, Pferde, Hunde und Katzen.

Wirkung: schmerzlindernd

Absetzfristen Rinder: 8 Tage für Fleisch; 3,5 Tage (7 Gemelke) für Milch

 

Diese und weitere Schmerzmittel sind in der Datenbank der Universität Zürich hinterlegt: CliniPharm/CliniTox


Lagerung

Schmerzmittel werden an einem sauberen, kühlen und lichtgeschützten Ort gelagert. [IMG 6]

Wie bei allen Substanzen, die in den Körper gespritzt werden, ist die Hygiene im Umgang mit Schmerzmitteln wie beispielsweise Lidocain sehr wichtig. So werden Injektionen am einfachsten vorbereitet (2):

  1. Wenn zwei Kälber enthornt werden sollen, braucht es zwei Spritzen und drei Nadeln.
  2. Nadel 1 wird durch den Gummi in die Lidocain-Flasche gestochen.
  3. Nun wird die erste Spritze auf diese Nadel gesetzt und das Schmerzmittel wird aufgezogen.
  4. Anschliessend wird die Spritze von der Nadel genommen.
  5. Die zweite Spritze wird gleich vorbereitet.
  6. Die Nadeln 2 und 3 werden dann auf die vorbereiteten, aufgezogenen Spritzen gesetzt, sobald das Kalb bereitsteht zur Injektion.
  7. Die Nadel 1 muss aus der Lidocain-Flasche entfernt werden, bevor diese wieder weggeräumt wird.

Das Schmerzmittel darf nicht über das auf der Flasche angegebene Ablaufdatum hinaus verwendet werden. Einmal angebrochene Flaschen zügig aufbrauchen. Bei Lidocain wird vom Hersteller eine Frist von vier Wochen nach der ersten Entnahme angegeben.

 

Quellen
(1) Gleerup und andere, 2015: «Pain evaluation in dairy cattle»
(2) Vetsuisse-Fakultät, Uni Bern/ETH Zürich, 2010: «Skript Schmerzausschaltung, Kastration und Enthornung»